A minha Lisboa, das bedeutet „mein Lissabon“. Und steht für Sichten auf die Stadt, die so intim sind, dass sie immer auch die Wahrnehmung derer schärfen, mit denen sie geteilt werden. Das ist die Idee hinter dieser Rubrik, die ein Herzstück von Lisboa-Soulcity ist. Und es ist genau das, was die aktuelle Ausstellung A minha Lisboa der Lissaboner Illustratorin Joana Viegas ausmacht, zu sehen noch bis 21. Januar, in der Leituria, Rua Dona Estefânia, 123 a, in der Nähe der Metrostation Saldanha, wo die rote und die gelbe Linie sich kreuzen. Geöffnet hat die Leituria täglich von 10 bis 20 Uhr, ausser am Sonntag.
Hier auf Lisboa-Soulcity geht die Künstlerin noch weiter: Sie führt uns nicht nur mit ihren Bildern, sondern live in den entspannten Stadtteil Campo de Ourique, in dem sie aufgewachsen ist.
Lissaboner Alltag – wie gemalt
Schon unser gemeinsamer Einstieg – die berühmte Straßenbahn 28 – macht aus einem typischen Touristen-Must-do ein ganz normales Stück Lissaboner Alltag: Wir treffen uns im Chiado, von wo aus Joana zu Studentenzeiten fast jeden Tag den eléctrico 28 nach Hause genommen hat.
Je näher wir dem Campo de Ourique kommen, desto mehr wird spürbar, wie gerne Joana hierherkommt. „Hier leben die Leute wirklich und wohnen nicht nur hier. Die Straßen sind voller Leben, es gibt hier noch für alles kleine Geschäfte, nicht bloß Supermärkte. Dazu die vielen Plätze, kleinen Parkanlagen, Straßencafés …“ Joana bricht ab und zeigt einfach nur einmal um sich. Falls es noch eines Ausrufezeichens bedurft hätte, würde spätestens die Wärme überzeugen, mit der sie hinterherschickt: „Ich bin von hier.“
Campo de Ourique:
Geschichte wird gemacht
Der Blick für Details, mit denen sie auch oft ihren Bildern ihren eigenen Schwerpunkt gibt, zeigt sich gleich nach dem Aussteigen. Joana muss nicht weit gehen, um bei der Rua Saraiva de Carvalho, 135, den Blick nach oben zu lenken. Dort erinnert eine Gedenktafel daran, dass hier bereits in der Nacht des 4. Oktober 1910 die erste Granate einer Revolution explodiert sei: als Vorbote der Ausrufung der Republik am nächsten Tag. Die seit langem brodelnde Unmut mit den Zuständen in der bis dato herrschenden Monarchie mündete am 5. Oktober in der Bildung einer provisorischen republikanischen Regierung unter dem Intellektuellen und Schriftsteller Teófilo de Braga.
Sehr viel persönlichere Erinnerungen sind es, die uns wenige Schritte weiter zu einer sehr eigen anmutenden Kirche führen, der Igreja do Santo Condestável. Als Kind waren für Joana einfach die Parkanlagen ringsherum immer Spielplatz und Treffpunkt. Heute erzählt sie von einer von außen nicht zu vermutenden Verbindung zum berühmten Convento do Carmo, dessen Ruine zu den Wahrzeichen Lissabons gehört: Die Reliquien des Klostergründers, Nuno Álvares Pereira, liegen im hier im Campo de Ourique, im Schrein der 1951 eingeweihten Kirche.
Historisch oder modern? Hier kann Lisboa mal wieder beides gleichzeitig
Dass man sich hier im Zentrum des Stadtteils befindet, wird schon dadurch deutlich, dass nicht nur der modernistische Kirchenbau den Platz beherrscht, sondern gleich daneben auch die große Markthalle des bairro, der Mercado de Campo de Ourique. Joana erzählt, wie sie hier oft am Wochenende mit ihrem Vater einkaufen gegangen ist – da war die ganze Halle noch voller klassischer Marktstände. „Alles ist ganz anders jetzt hier“, raunt sie, als wir hineingehen. Denn was uns erwartet, ist zunächst einmal ein gastronomisches Großangebot vom schnellen Käsehappen über den Feierabendaperitif bis zum vollständigen Menü. Auf jeden Fall vom Feinsten, und oft auch mit kulturellem Programm.
Daneben, aus dem Zentrum gerückt, gibt es sie aber noch, die Stände mit ihren vielen Gerüchen und Farben, vom frischen Brot über Obst und Gemüse bis hin zu Blumen. Das Konzept der Erlebnis-Markthalle geht auf, hat nicht nur diese hier gründlich wiederbelebt und ist für immer mehr Hallen in Lissabon angedacht. Aber wie geht es Joana damit? Genießt sie das Flair wie die anderen Besucher oder hat sie eher saudades nach dem Markt ihrer Kindheit? „Eher saudades„, ist ihre erste Reaktion. Um sich nach den ersten Schritten nochmal umzusehen und zu lächeln: „Aber das hier gefällt mir auch!“
Trotzdem – für eine süße Pause hat Joana noch einen ganz anderen Tipp. Der liegt quasi ums Eck, in der Rua Tenente Ferreira Durão, 62a, und nennt sich O melhor bolo de chocolate do mundo, „bester Schokoladen-Kuchen der Welt“. Auf jeden Fall ist er so gut, dass Joana immer wieder Lust drauf hat, wenn sie hier vorbeikommt. Die Live-Probe hat ergeben: Joanas Lieblingsvariante ist tradicional doce, aus Schokolade mit 53 Prozent Kakao, während der deutsche Testgaumen die durchaus nicht „bittere“ Variante meio amargo mit 70 Prozent Kakao noch mehr schätzt. Am besten beide probieren …
Das Herz des Campo de Ourique:
Lieber Lustwandeln als marschieren
Klein ist das Zuhause des O melhor bolo de chocolate do mundo, draußen scheint eine wunderbar warme Januar-Sonne, und der Campo de Ourique macht eigentlich immer Lust zum Umherstreifen, mit seiner freundlichen Gelassenheit. Das gilt besonders für den Jardim da Parada. Nicht nur Joana nennt ihn ganz selbstverständlich so, auch wenn er offiziell mal umbenannt worden ist zum Jardim Téofilo de Braga, nach dem ersten Präsidenten der 1910 ausgerufenen Republik. Der große Platz ist so zum Park umgestaltet worden, dass er sich glücklicherweise für Paraden nicht mehr eignen würde – dafür aber wunderbar zum Lustwandeln, rund um den schön angelegten Teich. Selbst die darin lebenden Enten sind besonders dekorativ. Joana erinnert sich sogar noch an Jagdszenen mit Pfauen, denen sie im frühen Kindergartenalter hier hinterherlaufen konnte.
Besonders für alle, die ein bisschen Portugiesisch verstehen, hat Joana noch einen besonderen Tipp: Die Livraria Ler in der Rua Almeida e Sousa, 24c. Die Buchhandlung gibt es seit 1970, und für das Viertel ist sie zugleich kultureller Treffpunkt, stark im Campo de Ourique verankert und engagiert. Das spürt man selbst, wenn man den Laden zum ersten Mal betritt: Man ist herzlich willkommen. Egal, ob man ungestört stöbern oder sich mit Sachverstand und Engagement beraten lassen will. Die Bücher sind liebevoll ausgesucht und arrangiert. Es fällt leicht, sich vorzustellen, wie sich Joana hier schon als Baby so zuhause gefühlt hat, dass sie sich regelmäßig durch etliche Bücher wühlte, um ein wunderbares Chaos anzurichten, wie sie lachend erzählt.
Lissaboner Künstler, made in
Campo de Ourique
Als wir weiter durch die Straßen des Campo de Ourique spazieren, um uns langsam und mit kleinen Umwegen dem Jardim da Estrela zu nähern, empfiehlt Joana noch die Casa Fernando Pessoa in der Rua Coelho da Rocha, 16. Die letzten 15 Jahre seines Lebens, bis 1935, hat der Schriftsteller mit den vielen Pseudonymen, der auch auf Englisch geschrieben hat, hier gelebt. Man kann sein Zimmer besichtigen, und es gibt ein umfangreiches Kulturprogramm. Die Termine gibt es auf der auch auf Englisch angebotenen Website.
Die Rua Coelho da Rocha beherbergt aber nicht nur das kulturelle Erbe einer der wichtigsten Ikonen Lissabons aus dem 20. Jahrhundert, sondern für Joana auch ein „Stück Paris“. Nicht ganz so, wie man angesichts des ohnehin präsenten Savior vivre im Campo de Ourique erwartet: Eine kleine, versteckte Hinterhofsiedlung, die durchaus nicht glamourös wirkt. Doch hier haben etliche Künstler ihre Ateliers. Schauen Sie einmal durch den Torbogen bei der Nummer 69 … Kreativität macht sich in Lissabon immer Platz, dass zeigt auch dieser Insidertipp von Joana Viegas.
em
Hat dies auf Lisboa – Soulcity rebloggt und kommentierte:
Wer die Ausstellung „A minha Lisboa“ in der Leituria verpasst hat, kann sie noch bis zum 16. März in „O das Joanas Café“ sehen, zu erreichen mit der grünen Metro-Linie. Die Adresse, Largo do Intendente, 28, ist auch ein wunderbarer Ausgangspunkt für einen anschließenden Spaziergang durch die Mouraria!
LikeLike