Ein Museum für Design und Mode – das bedeutet viel Platz für eine alltägliche, omnipräsente Form von Kunst. Das Bewusstmachen von Prägungen. Vom Kollektiven individueller Erinnerungen. Es verspricht Exponate ohne gefühlten Museumsstaub und offene Türen zum wahren Leben. Das Lissabonner MUDE erfüllt diese Versprechen aufs interessanteste. Es macht Spaß, seine Ausstellungen sind bestens kuratiert – und kostenlos zu besuchen, dienstags bis sonntags zwischen 10 und 18 Uhr. Noch bis 30. September kann man eine große Ausstellungs-Installation sehen, die einem besonders schillernden Beispiel für die Verquickung von Kunst, Kommerz und Leben gewidmet ist: André Saraiva.
Ausdrucksformen eines Gesamtkunstwerks
Sein Leben ist ein Gesamtkunstwerk. Wahrscheinlich geht das gar nicht anders, wenn man als Kind politischer Exilanten aus dem Portugal von António de Oliveira Salazar 1971 im schwedischen Uppsala geboren wird, in den 80er Jahren dann in Paris aufwächst und schließlich in New York so etwas wie eine Heimat findet. Oder ein Base Camp für die Reisen zwischen verschiedenen Heimaten, in denen Saraiva immer auch ein bisschen ein Fremder bleibt.
Bekannt geworden ist er mit doppelt subversiven Graffiti, Counterparts zu den ab den 80er und 90er Jahren nicht nur die Straßen von Paris überschwemmenden Tags und politischen Parolen: Mr. A ist eine verrückte Strichfigur, die auf hohen Schuhen durchs Leben tanzt. Auf Häuserwänden, Schildern, Briefkästen. Immer ein breites Grinsen und ein Zwinkern im Gesicht, hat sie inzwischen weltweit viele Herzen erobert.
Bei den Parisern war es quasi Liebe auf den ersten Blick – ob beim Kleinkind, dem Obdachlosen oder der gutsituierten Geschäftsfrau im Ruhestand. Nur die französische Justiz konnte sich dauerhaft dem Charme seiner liebenswerten Stadtverschönerung entziehen und befand den „Wiederholungstäter“ Saraiva schließlich sogar einer Bewährungsstrafe würdig. Der kann damit gut leben. Ok, es schmerzt ihn schon, sich nun in Frankreich mit Graffiti zurückhalten zu müssen. Aber sein Mr. A reist mittlerweile unter anderem auf Chanel-Taschen um die Welt und hat heuer als Popstar für das SWR3 New Pop Festival geworben, auf eigens von André entworfenen Plakaten.
Lissabons MUDE verschmilzt Hochkultur und Pop-Art
Damit bleibt Mr. A das genuine Alter Ego seines Schöpfers. Des mehrfachen Nachtclub- und Hotelbesitzers, Magazinmachers und Covermodels, Filmemachers und -protagonisten. Der im MUDE außer Graffit auch Gemälde, Siebdrucke und Installationen zeigt, insgesamt rund 200 Exponate. Das MUDE will sein Gesamtwerk vorstellen, das, so das Museum, „die Pop-Sprache vertieft und an Performances erinnert – Kunst mit einem Touch Verspieltheit, eine Kontamination von Hochkultur und Pop-Art der Postmoderne.“
Poesie im Kopf und auf der Straße
Besonders sympathisch kommt diese Verspieltheit daher bei Saraivas Plakaten für Konzerte, die nie stattfanden: Die Entdeckung der Poesie in dem bloßen Zusammenfügen von Namen und Zahlen, wie sie auf amerikanischen Postern der 50er bis 80er Jahre üblich war. Eine Poesie, die aus dem Wecken von Erinnerungen entsteht. Wieder das Bewusstmachen der emotionalen Qualität einer „Alltagskunst“, die in der Retrospektive museumsreif ist.
Sehr real sind hingegen persönliche Inspirationen und Erinnerungen, die der Lebens-Künstler mit den Besuchern teilt – darunter auch der erste Strafbefehl für sein „schönes Verbrechen“, wie Saraiva selbst die Graffitikunst nennt. Und ein Projekt, mit dem er Lissabon dauerhaft bereichert: Mr. A wird zum Motiv einer 106 Meter langen, 950 Quadratmeter großen und von Hand gestalteten Azulejo-Wand am Jardim Botto Machado – gleich beim Campo Santa Clara, berühmt für den großen Flohmarkt Feira da Ladra. Die traditionelle portugiesische Kachelkunst verbindet sich also mit Pop-Art, die europäische Hauptstadt der Street Art geht auch in dieser Kunst wieder ganz eigene Wege. Gesamtkunstwerk Lissabon.
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Das MUDE steht in der Rua Augusta 24, mit der Metro bestens zu erreichen über die Station Terreiro do Paço der blauen Linie. Die Website des Museums gibt es auch auf englisch: MUDE – Museu do Design e da Moda.
Hat dies auf Lisboa – Soulcity rebloggt und kommentierte:
Verlängert bis 12. Oktober!
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